Amtierende Schach-Weltmeisterin geht für den SC Höchstadt ans Brett

 

Tatiana Flores Bernholz ist 23 Jahre alt, in Andorra geboren und aufgewachsen, lebt in Paderborn in Nordrhein-Westfalen. Sie ist körperlich behindert und arbeitet als Journalistin. Vor zwei Jahren hat sie ihre Begeisterung für den Schachsport nach vielen Jahren Pause wiedergefunden. Bei der vierten Weltmeisterschaft im Schach für Menschen mit Behinderung des Weltverbands FIDE gelang ihr nun ihr größter Erfolg: Sie wurde beim neuntägigen Onlineturnier Schach-Weltmeisterin. Über 240 Spieler aus 45 Ländern nahmen teil, Tatiana Flores Bernholz wurde 22. und triumphierte in der Frauenwertung.

Für einen Verein in Deutschland hat sie jedoch bisher nicht gespielt, war stattdessen auch coronabedingt nur online schachlich aktiv. Höchstadts 2. Vorsitzender Elias Pfann knüpfte die Kontakte, interviewte sie für seinen Podcast auf schachtraining.de und konnte sie überzeugen, Mitglied beim SC Höchstadt zu werden. Mit Höchstadts besten Spielern (allesamt Männer) bewegt sie sich auf Augenhöhe, so viel ist nach ihren ersten Onlinepartien und Siegen bereits klar. Tatiana Flores Bernholz ist eine große Bereicherung für den SC Höchstadt. 16 Mädchen und Damen bei insgesamt 105 Mitgliedern bedeuten einen Frauenanteil über dem Durchschnitt in Deutschlands Schachvereinen – Tendenz weiter steigend.

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Podcast-Interview auf schachtraining.de - FIDE-Seite zur WM für Menschen mit Behinderung

Interview von Elias Pfann mit Tatiana Flores Bernholz:

Glückwunsch zum Weltmeistertitel Tatiana! Wie war das Gefühl, als du den Titel gewonnen hast?

Es war ziemlich überwältigend! Ich habe mich unheimlich gefreut und ich konnte es am Anfang fast gar nicht fassen! Ich habe tatsächlich mehrere Tage gebraucht, um mir dessen bewusst zu werden. Ich glaube, am Montag der Abschlusszeremonie war es dann so weit. Es war alles sehr schön und hat sich wie ein Traum angefühlt.

Wie liefen die Schachpartien für dich?

Besser als gedacht! Ich hatte mir als Ziel, mit dem ich zufrieden sein würde, eine Partie zu gewinnen, gesetzt. Am Ende habe ich 6,5 von 9 gewonnen. Mir war davor gar nicht bewusst, wie gut ich in dieser kurzen Zeit geworden war. Das hat mich natürlich sehr gefreut!
Die Partien waren alle nicht leicht; es gibt keine, wo ich sagen würde, die fiel mir leicht oder war ein klarer Gewinn seit Anfang an. Ich musste in jeder wirklich bis zum Ende kämpfen und durchhalten, oft sogar bis zu zwei Zügen vorm Schachmatt. In dieser WM hat niemand zu früh aufgegeben, alle waren unheimlich hartnäckig. Ich habe in diesem Turnier meinen ersten Sieg gegen eine Spielerin mit Titel und habe in der letzten Runde das Remisangebot eines FM glücklich angenommen. Meine Stellung mit weiß war zwar etwas besser, aber ich war müde und mit 6,5 Punkten total zufrieden, dafür dass es mein erstes großes Turnier war.

Wie war das Turnier für dich? Hast du manchmal an dir gezweifelt?

Das Turnier war extrem hart und intensiv. Sogar danach und in den Stunden vor den Partien war ich sehr angespannt. Für ganze 11 Tage hat sich alles nicht nur um Schach gedreht, sondern um meine eigene Leistung im Schach! Um meine Eröffnung, um die Vorbereitung gegen die Spielerinnen und Spieler jeden Morgen, um die Analyse meiner Partien am Abend ...

 

 

Ich fand es sehr toll, aber auch anstrengend, besonders weil die Intensität noch neu für mich war. Rückblickend hat es mir aber sehr gefallen, das könnte von mir aus immer so sein! Generell verzweifelt habe ich nicht viel. Wie gesagt, meine Erwartungen waren alles andere als einen Titel zu holen oder Ähnliches, deswegen habe ich sie immer weiter übertroffen und mich einfach darüber gefreut. In einzelnen Partien (fast in jeder) hatte ich schon Momente, wo ich einfach nicht wusste, wie es weiter gehen sollte oder würde. Remis oder verliert doch noch einer, was, wenn das oder das? Jede Partie war ein auf und ab, ich war mir bis zum vorstehenden Sieg nie sicher, dass ich die Partie auch gewinnen würde. Passte aus irgendeinem Grund nicht in meinen Kopf!

Wie fühlt es sich jetzt an, als Weltmeisterin? Du hast bestimmt viele Glückwünsche bekommen.

Es ist supertoll! Ich habe Glückwünsche von Menschen aus der ganzen Welt bekommen. Es ist einfach nur schön zu spüren, wie sie sich mit einem über meinen Sieg freuen. Natürlich habe ich es auch mit meiner Familie und Freunde gefeiert, und als die Medaille ankam, noch einmal!
Was mich am meisten freut, ist das die FIDE, Spielerinnen, die ich mal interviewt habe, GMs, die ich gar nicht kenne etc. mir auch gratuliert haben. Viele von ihnen sind meine Vorbilder oder bewundere ich im Schach. Es hat (und tut es immer noch) sich unglaublich angefühlt. Vor allem habe ich auch eine Menge Interviewanfragen und Ähnliches bekommen, was witzig ist, denn normalerweise mache ich die ja!

Du trainierst erst seit zwei Jahren intensiv Schach. Wie wird man so schnell so gut?

Ich glaube, das intensive Training hat das meiste ausgemacht, dann natürlich die Leidenschaft, die ich fürs Schach habe. Der Kampfgeist in den Partien finde ich, spielt auch eine sehr große Rolle. Ich werde oft gefragt, ob ich ein großes Talent fürs Schach habe... Das weiß ich nicht, wenn ja, stellt sich das wahrscheinlich im Laufe der Zeit noch fest. Untalentiert fürs Schach finde ich mich nicht, aber ich habe das Gefühl, dass man in der Alltagssprache Talent oft mit harter Arbeit und Zielstrebigkeit verwechselt. 

Hast du irgendwelche Tipps für andere Spieler?

Viele meiner Tipps habe ich schon im Podcast mit mir von schachtraining.de verraten, aber ich glaube, das Wichtigste ist eine passende Routine für die Turniere zu haben. Jeder Mensch ist anders, deswegen sind die einzelnen Bedürfnisse es auch. Manche möchten vielleicht lieber morgens vom Turnier noch etwas Sport treiben und am Abend davor die Vorbereitung machen, andere haben es morgens lieber ruhiger. Mir hilft es sehr regelmäßig zu essen und viel Schlaf zu bekommen und meine Vorbereitung auf die Partien teile ich gerne auf; also die Hälfte abends und den Rest am Morgen als auch eine Art Aufwärmung. Hilfreich kann es meiner Meinung auch sein, nicht zu viele Eröffnungen vorzubereiten, sondern nur eine oder zwei, die man wirklich gut kennt und versteht. Das vermindert den Stoff, den man auswendig lernen muss und für mich die Anspannung auch etwas.

Du bist auch Schach-Journalistin für ChessBase und Chess.com und liebst das Schach wie keine andere. Wie ist es für dich, wenn sich fast dein ganzes Leben ums Schach dreht?

Es ist einfach toll! Ich glaube nicht, dass es viel gibt, dass mich noch glücklicher machen könnte. Ich finde, wenn ich als Journalistin tätig bin, kann ich die Spielerin in mir nicht abschalten; vielleicht schreibe ich deswegen mit solcher Leidenschaft. Andersrum ist es genauso! Als Spielerin bin ich gleichzeitig auch immer neugierig auf Neuigkeiten und Aufregendes aus der Schachwelt! Die Kombination macht mich unheimlich glücklich und ich hoffe, ich habe das Glück, dass es so bis zum Ende meines Lebens bleibt.

Jetzt bist du Mitglied im Schachclub Höchstadt. Eigentlich wohnst du in Paderborn. Wie kam es dazu?

Ja, genau! Das ist eine witzige Geschichte. Noch vor der WM hatte sich Elias Pfann mit mir in Kontakt gesetzt, um anzufragen, ob ich was für seine Seite Schachtraining.de über ein Schachpatent der ECU schreiben könnte. Das habe ich dann auch gemacht und wir hielten Kontakt, und sind nach der WM gute Schachfreunde geworden. Die Idee, dem Schachklub Höchstadt beizutreten, kam von ihm. Er hat mich dann mit Fakten und guter Ausdauer überzeugt! Ich habe mich über das Angebot sehr gefreut, da ich schon seit Längerem einem Schachverein beitreten wollte. Ich fand alle Mitglieder auch sehr nett und freue mich, jetzt dazu zugehören.

Du nutzt vor allem das online-Angebot und hast in Turnieren schon gegen die Besten des Vereins gewonnen. Wie fühlt sich das an im neuen Verein gleich eine der Besten zu ein?

Ich freue mich, einfach gegen andere Spielerinnen und Spieler spielen zu dürfen, egal welcher Spielstärke. Ich finde, die Diversität macht es aus und man kann von allen was lernen. Ich hoffe nur, die anderen fühlen sich deswegen nicht gleich gekränkt. Ich spiele oft sehr aggressiv und habe schon mal erlebt, dass das nicht gut ankommt. Ich will einfach nur spielen und besser werden. Wenn mich das zu einer der Besten des Vereins macht, dann freue ich mich darüber, weil es was Tolles ist.

Möchtest du, dass alle dich als Weltmeisterin kennen oder hast du weitere schachliche Ziele?

Darüber habe ich mir noch keine konkreten Gedanken gemacht, aber ich will auf jeden Fall Großmeisterin (GM) werden. Danach würde ich gerne das Schach bereichern, sei es als Spielerin oder als Journalistin (obwohl ich hoffe, dass ich Zweiteres schon tue). Ich würde gerne einen positiven Einfluss hinterlassen, der anderen vielleicht helfen oder sogar als Leitfaden dienen kann. Ich weiß, das klingt ambitioniert, aber ich setze mir gerne Ziele und habe noch viel Zeit. Ich hoffe, dieser Weltmeisterin-Titel worauf ich unheimlich stolz bin, ist erst der Anfang von einer fruchtreichen Schachkarriere.

Wird man dich auch offline beim Schachclub, z.B. bei einer Jubiläumsveranstaltung (Anmerkung: Der SC Höchstadt feiert 2022 60-jähriges Bestehen) sehen?

Ich hoffe es! Es würde mich natürlich sehr freuen, wenn die Umstände es erlauben und ich nächstes Jahr kommen kann, um alle persönlich kennenlernen und ein paar Partien zu spielen.